Auf den ersten Blick ist die Erneuerung des Bahnhofs Wildegg ein typisches Bauprojekt unter laufendem Bahnbetrieb. Für einmal kommen die Baumaschinen aber nicht Personenzügen in die Quere, sondern dem Güterverkehr.
Wildegg ist ein Güterbahnhof mit ein paar Perrons für den Personenverkehr. Flächenmässig dominieren Anschluss- und Abstellgleise für Güter-Ganzzüge sowie Bereiche für den Wagenladungsverkehr und Freiverlad. Auch fahrplantechnisch spielt der Güterverkehr eine wichtigere Rolle als an den meisten anderen Betriebspunkten auf dem Schweizer Bahnnetz.
Umdenken erforderlich
In der Planung war also ein Umdenken erforderlich. Oft sind bei Bauarbeiten Güterzüge die ersten, die gestrichen oder umgeleitet werden. Weil der Güterverkehr indes in Wildegg nicht nur durchfährt, sondern beginnt, endet oder anhält, kann ein Grossteil der Züge nicht umgeleitet werden.
Auch Lastwagen als «Ersatzbusse» für Zuckerrüben, Gebäck von Jowa und Zement von Jura sind grösstenteils keine Option, weil Wildegg das zentrale Glied in der Logistikkette ist. Diese ganz auf die Strasse zu verlegen, ist aus Kapazitätsgründen nicht möglich. Güter stattdessen andernorts auf die Schiene zu verladen wäre zu umständlich.
Die Bahnbaustellen in Wildegg fühlen sich daher an wie eine leicht andere Welt. Auf den Güterverkehr Rücksicht zu nehmen führt zu anderen Arbeitszeiten. Auch Gleissperrungen funktionieren anders als an Betriebspunkten, die primär dem Personenverkehr dienen, wo es meist möglich ist, Gleise abschnittsweise zu sperren und den Verkehr auszudünnen. Ein Anschlussgleis ist hingegen ein Nadelöhr, das wenn immer möglich frei sein muss.
Ausbau des Bahnzugangs und Erneuerung der Fahrbahn
Auch aus baulicher Sicht ist das Wildegger Projekt komplex. Um die Einschränkungen für Güterverkehrskunden, Reisende und Anwohner:innen zu minimieren, fasst die SBB möglichst viele Arbeiten zusammen. So werden in Wildegg innert eines guten Jahres Perrons erhöht, Gleise erneuert und entfernt, Weichen erneuert sowie eine Unterführung, Anlagen für den Freiverlad von Gütern, Park- und Veloabstellplätze sowie Abfallsammelstellen gebaut und ein Güterschuppen abgerissen.
Dank der zwei erhöhten Perrons und der neuen Personenunterführung können Bahnkund:innen künftig bequemer ein- und aussteigen. Dies dient insbesondere Menschen im Rollstuhl, mit Kinderwagen oder mit Gepäck. So entspricht der Bahnhof Wildegg künftig dem Behindertengleichstellungsgesetz. Ausserdem wird auf einem Perron eine neue Wartehalle erstellt.
Die Erneuerung der Gleise führt zu mehr Laufruhe und damit zu höherer Sicherheit und pünktlicheren Zügen. Selbst ein perfekt unterhaltenes Gleis erreicht irgendwann das Ende seiner Lebensdauer. In Wildegg sind das vor allem die Strecken- und Bahnhofsgleise, die gleichsam von Personen- und Güterzügen befahren werden.
Neben- und Abstellgleise werden hingegen aufgrund der Verhältnismässigkeit nicht erneuert, da sie noch in gutem Zustand sind. Dasselbe kann man nicht über die sieben Weichen im Bereich der Anschlussgleise sagen. Sie sind buchstäblich der Dreh- und Angelpunkt und werden deswegen erneuert. Auch vier Prellböcke an den Enden von Abstellgleisen werden ersetzt.
Ausserhalb des Gleisbereichs entsteht mehr Platz dank dem Abriss des Güterschuppens und des Rückbau eines Gleises beim Bahnhofsgebäude. Auf den frei werdenden Flächen entstehen neue Kurzzeitparkplätze und Veloabstellplätze. Dank neuen Unterflurcontainern sind volle Abfallkübel künftig eine Sache von gestern.
Die Arbeiten in Wildegg erledigen zahlreiche Unternehmen. Die Hauptgleise erneuert die SBB selbst; die weiteren Arbeiten führt die Arbeitsgemeinschaft ROVA aus. Den verbleibenden Gleis- sowie Tief- und Strassenbau erledigt die Vanoli AG. Für den Ingenieur- und Spezialtiefbauarbeiten ist Rothpletz Lienhard zuständig; RUBI Bahntechnik hat bei der entsprechenden Ausschreibung die Gleisarbeiten begleitet.
Gearbeitet wird in Wildegg bis 2024. Die Gesamtbaukosten betragen rund 32 Millionen Franken.
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