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AutorenbildRaffael Hirt

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Wie schreibt man eine Leistung aus, die man noch gar nicht kennt? Zusammen mit der SBB wendet RUBI Bahntechnik gleich zwei neuartige Verfahren an.

Bild: TitusStaunton / Pixabay

Es geht um nichts weniger als die Sicherheit des Schweizer Bahnverkehrs in der Zukunft. Die bestehenden Partnerschaftsverträge der SBB für Stellwerke laufen aus. Stellwerke sind das Hirn und die Nervenbahnen der Bahninfrastruktur – ohne sie geht nichts. Dementsprechend sind Lieferengpässe ein No-Go. Deshalb müssen die Verträge mit Lieferanten nahtlos neu abgeschlossen werden.


Stäbe, Hebel und Stromkreise

Stellwerke gibt es beinahe so lange, wie es Eisenbahnen gibt. Die ersten Züge wurden noch mit Streckenstäben abgesichert. Nur der Lokführer (damals gab es definitiv noch keine Frauen im Führerstand) mit dem entsprechenden Streckenstab in der Hand durfte eine Strecke befahren. Dieses System stiess natürlich schnell an seine Grenzen. Wenn Züge nicht an jedem Bahnhof halten, zwei Züge hintereinander in dieselbe Richtung fahren oder mehrere Spuren zur Verfügung stehen, wird das Streckenstab-System von einer Absicherung zu einem Risiko.


Die ersten Stellwerke waren mechanisch. Weichen und Signale waren mit Drahtzügen oder Gestänge miteinander und mit den Stellhebeln verbunden. Dank dieser Verbindung und der Kraftübertragung war das System eineindeutig – es konnte zu keiner Diskrepanz zwischen dem Hebel, der Weiche und dem Signal kommen, denn sie hingen alle am selben Drahtzug.

Bedienpult eines elektromechanischen Stellwerks im Berliner U-Bahn-Museum (Bild: Big Virgil / Wikimedia)

Der erste kleine Entwicklungsschritt war die Elektrifizierung mechanischer Stellwerke. Statt von Muskelkraft am Hebel wurden Weichen nun mit Strom angetrieben. Die Mechanik war nun nicht mehr eineindeutig – es war theoretisch möglich, dass im Stellwerk zwar der Hebel umgelegt oder der Knopf gedrückt, der Impuls aber nicht übertragen wurde (zum Beispiel wegen eines Schwergangs oder eines kurzen Stromunterbruchs). Dafür war es nun möglich, Stromkreise als Überwachungsinstrument zu nutzen. Wird der sogenannte Kuppelstromkreis unterbrochen, fällt das Signal automatisch in die Haltstellung.


Nullen und Einsen

Die nächste Raketenstufe in der Entwicklung von Stellwerken war bereits die Digitalisierung. Die Nullen und Einsen hatten allerdings noch nicht die Form von Bits, sondern von Relais. Diese elektrischen Schalter haben in der Regel nur zwei Stellungen – offen oder geschlossen.


Wie bei unseren Computern erlaubt diese Einfachheit der Grundeinheit in der Kombination eine grosse Komplexität. Relaisstellwerke erlauben es erstmals, an der Benutzeroberfläche eine gesamte Fahrstrasse einzustellen und die einzelnen Schaltungen ganz der Maschine zu überlassen. Ausserdem erfolgt keine Übertragung mechanischer Kräfte zwischen dem Stellwerk und der Aussenanlage mehr. Der Radius eines Stellwerks wurde also nicht mehr von der maximalen Länge eines Drahtzugs beschränkt, sondern von der Übertragungsgeschwindigkeit der Kabel zwischen den Relais.

Relaisstellwerke sind heute noch zuverlässig zu betreiben und deshalb weit verbreitet. Die technische Entwicklung schreitet aber trotzdem voran. Mit der Durchdringung von Computer-Hard- und Software hielt das elektronische Stellwerk Einzug. Es wird bedient wie ein Computer – früher mit Lichtgriffel, heute mit Tastatur und Maus. Die Übertragung erfolgt weiterhin mit Relais oder auch mit Kabeln. Für die Sicherheit sorgt indes nur noch Software.


Der nächste Schritt?

Das elektronische Stellwerk ist aktuell der neuste Stand der Technik. Weil die ältesten Exemplare aus den 70er-Jahren stammen, überlegen sich die europäischen Bahnen allerdings schon seit Längerem, wie das Stellwerk der Zukunft aussehen könnte.

Fast schon retro: Bedienplatz eines elektronischen Stellwerks (Bild: Harald Jeschke/ Wikimedia)

Ein möglicher Entwicklungsschritt ist die Digitalisierung der Datenübertragung. Zwischen dem Stellwerk und den Aussenanlagen müssten dann keine gesonderten Kabel mehr verlegt werden. Stattdessen würde das digitale Stellwerk über ein bestehendes Datennetz mit seinen Weichen und Signalen verbunden. Ebenfalls denkbar ist der Einbezug der Cloud. Statt nur aus Stellwerkgebäuden oder Betriebszentralen liesse sich ein Stellwerk dann von irgendwo auf der Welt aus bedienen. Mit diesen Entwicklungen entstünde neues Potential, aber auch ein grösseres Risiko für Verbindungsunterbrüche und Hackerangriffe.


Zurück zu den auslaufenden Verträgen der SBB. Eine Technologie auszuschreiben, wenn sie sich kurz vor dem Sprung auf das nächste Plateau befindet, ist denkbar schlechtes Timing. Während die SBB ihr WC-Papier in Ausschreibungen genaustens spezifiziert, damit es die Zugtoiletten nicht verstopft, ist bei der Ausschreibung des Stellwerks der Zukunft noch fast nichts greifbar.


Not macht erfinderisch

Trotzdem muss die SBB sicherstellen, dass sie zu jedem Zeitpunkt Stellwerke neu bauen, erneuern und revidieren kann. Deswegen ist auch aufseiten des Beschaffungswesens Innovation vonnöten. Zum Glück enthält das Bundesgesetz über das öffentliche Beschaffungswesen (BöB) gewisse Provisionen, die in solchen Situationen helfen – zum Beispiel das selektive Verfahren und der integrierte Dialog.


In einem selektiven Verfahren ist es öffentlichen Einheiten wie der SBB erlaubt, nur gewisse Anbieter zu Ausschreibungen zuzulassen. Mit Blick auf Fairness und Wettbewerb wird dieses Vorgehen nicht gern gesehen. Bei einer breiten und damit ungenauen Ausschreibung wie derjenigen des Stellwerks der Zukunft erlaubt die Selektion aber, die Anzahl unterschiedlicher Ansätze auf ein erträgliches Mass zu beschränken. Das kann aber auch ein Nachteil sein, denn Anbieter mit neuartigen und unkonventionellen Ideen werden benachteiligt, wenn sie nicht zum Verfahren zugelassen werden.


Wären sie in einem selektiven Verfahren berücksichtigt worden? Eine Statue von Steve Jobs mit einem iPhone (Bild: veronikasz / Pixabay)

Weil die SBB noch kein klares Bild der Technologie hat, möchte sie mit den Anbietern über ihre Ideen und Angebote sprechen. Hier kommt der im Ausschreibungsverfahren integrierte Dialog ins Spiel. Statt die Angebote anhand von definierten Kriterien zu bewerten, führt die SBB mit den selektierten Unternehmen einen oder mehrere Dialogtage durch. Diese verlaufen nach einem eng definierten Schema, damit keiner der Dialogpartner benachteiligt wird. Anbieter, die den Zuschlag nicht erhalten, werden zudem pauschal für ihre Denkarbeit und ihre Zeit entschädigt.


Die Zukunft ist jetzt?

Vorneweg: Das erste Stellwerk der Zukunft geht frühestens 2028 in Betrieb. Bis dahin fliesst noch viel Wasser durch die Turbinen der SBB-Kraftwerke. Wegen der Komplexität der Technologie und auch des Verfahrens beginnt die Ausschreibung bereits jetzt.

Die SBB hat bereits eine Vorselektion an potentiellen Anbietern vorgenommen und sie über die Ausschreibung informiert. Die Unterlagen der Information wurden auch auf der Submissionsplattform simap.ch aufgeschaltet. Dort erfolgt im Herbst auch der effektive Startschuss für die Antragsphase.

Im Winter beurteilt die SBB die Teilnahmeanträge und beschliesst, mit welchen Anbietern sie in einen Dialog treten will. Da deren Vorbereitung mit viel technischer Denkarbeit verbunden ist, dauert sie fast ein Jahr. Dementsprechend werden die Dialoge von Winter 2023 bis Sommer 2024 durchgeführt. Anschliessend reichen die Anbieter ihr Angebot ein – sofern sie noch am Auftrag interessiert sind.


Ab diesem Zeitpunkt läuft die Ausschreibung wieder in gewohnten Bahnen. Die SBB wertet die finalen Angebote aus; die Anbieter überarbeiten und bereinigen diese wenn nötig. 2025 entscheidet sich, welche Anbieter den Zuschlag erhalten.

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